Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einführung |
2 Abgrenzung der betrachteten Uhren |
3 Uhrenhersteller in Deutschland |
4 Stilrichtungen und Uhrentypen |
4.1 Stilrichtungen |
4.2 Stilmerkmale bei Uhren |
4.3 Uhrenbeispiele |
5 Voraussetzungen bei der Instandhaltung von Uhren |
5.1 Arbeitsplatz und Werkzeug |
5.2 Arbeitsschritte |
5.3 Zerlegen des Uhrwerks |
5.4 Reinigen und Ölen |
5.5 Feder entspannen |
6 Uhrenaufbau |
6.1 Gehäuse |
6.2 Uhrwerk |
6.3 Zifferblatt |
6.4 Uhrwerksbefestigung |
6.5 Klangkörper |
7 Reparaturen am Uhrenaufbau |
7.1 Reinigung und Reparatur von Zifferblättern |
7.2 Befestigung einer defekten Blindplatte |
7.3 Klangeinstellung |
8 Uhrwerk (Gehwerk) |
8.1 Allgemeiner Aufbau |
8.2 Federantrieb |
8.3 Räderwerk |
8.4 Zeigerwerk |
8.5 Hemmung |
8.6 Schwingsystem |
8.7 Werksgestell |
9 Reparaturen und Einstellungen am Uhrwerk |
9.1 Reparaturen am Federantrieb |
9.2 Reinigen eines Uhrwerks mit offenem Federwerk |
9.3 Reparatur am Räderwerk |
9.4 Arbeiten am Zeigerwerk |
9.5 Einstellung des Ankers bei der Hakenhemmung |
9.6 Einstellung von Pendelgabel und Pendelfeder |
9.7 Pendelstab ersetzen |
9.8 Pendelfeder ersetzen |
9.9 Einbau einer Lagerbuchse |
10 Uhren mit Schlagfunktion |
10.1 Allgemeiner Aufbau |
10.2 Antrieb |
10.3 Räderwerk |
10.4 Hammerwerk |
10.5 Programmwerk |
11 Schlossscheibenschlagwerk Typ 1 |
11.1 Schlossscheibe Typ 1 mit geradem Kamm |
11.2 Aufbau und Funktion des Programmwerks |
11.3 Programm für die Schlagzahl, Programmfehler |
11.4 Einstellung der Räder |
11.5 Einstellung der Schlossscheibe Typ 1 |
12 Schlossscheibenschlagwerk Typ 2 |
12.1 Schlossscheibe Typ 2 mit schräger Anlauffläche |
12.2 Aufbau und Funktion des Programmwerks |
12.3 Programm für die Schlagzahl, Programmfehler |
12.4 Einstellung der Räder |
12.5 Einstellung der Schlossscheibe Typ 2 |
13 Rechenschlagwerke |
13.1 Komponenten |
13.2 Aufbau und Funktion des Programmwerks |
13.3 Schnittstellen zwischen Gehwerk und Schlagwerk |
13.4 Schlagprogramm – Repetition - Programmfehler |
13.5 Einstellung der Räder |
13.6 Einstellung der Stundenstaffel |
14 Schlagwerk ohne Schlossscheibe und Rechen |
14.1 Komponenten |
14.2 Aufbau und Funktion des Programmwerks |
14.3 Einstellungen der Räder |
14.4 Einstellung der Kurvenscheibe |
15 Beispieluhrwerke und deren Einstellung |
15.1 Alternativen der technischen Ausführung |
15.2 Verfügbaren technischen Lösungen |
15.3 Auswahl eines Beispieluhrwerks |
16 Schnittstellenprobleme zwischen Geh- und Schlagwerk |
17 Montage und Einstellung von Minuten-und Stundezeiger |
18 Einstellen der aktuellen Uhrzeit |
19 Aufhängen einer Wanduhr |
20 Anhang: Funktion der Hakenhemmung |
21 Literaturverzeichnis |
22 Stichwortverzeichnis |
Vorwort
Die Epoche der mechanischen Räderuhr als Zeitmesser begann im 13. Jahrhundert und endete Mitte des 20. Jahrhundert. Zu diesem Zeitpunkt wurden Pendel und Unruh als Taktgeber vom Quarzoszillator abgelöst, aus dessen Schwingungen Sekundenimpulse mit sehr viel höherer Genauigkeit abgeleitet werden können. Die letzten 100 Jahre der 700 jährigen Geschichte der mechanischen Räderuhr fallen in die Zeit der Industrialisierung. Ab Mitte des 19.Jahrhunderts wurde in vielen Ländern begonnen, Uhren fabrikmäßig zu fertigen. Die folgende Massenfertigung machte die Uhr zum Alltagsgegenstand. Natürlich werden auch heute noch mechanische Räderuhren gebaut, die den Ansprüchen an Genauigkeit im Alltagsgeschehen genügen. Für die präzise Zeitmessung haben diese Uhren jedoch keine Bedeutung mehr.
Anfang des 20.Jahrhunderts war Deutschland führend bei der Produktion von Großuhren. Das Buch befasst sich ausschließlich mit diesen Uhren aus deutscher Industrieproduktion von ca. 1860 bis 1940. Dieser Zeitraum liegt relativ kurz zurück. Eltern, Großeltern und Urgroßeltern haben in dieser Zeit gelebt bzw. sind hineingeboren worden. Die Vorfahren haben sich aller Wahrscheinlichkeit mit diesen Uhren als Gebrauchs- und Einrichtungsgegenstand befasst und auch gekauft. Heute hängt so manche dieser Uhren als Erbstück an der Wand, in vielen Fällen ohne Funktion und nur als Dekoration. Die Uhren sind aber auch im Keller oder auf dem Speicher verschwunden, nachdem die Funktion nicht mehr gewährleistet war oder sie wurden weitergegeben. Man findet sie unter anderem auf Flohmärkten, in Antiquitätengeschäften und dem Internetmarkt (z. B. Ebay)
Das Buch ist für den geschrieben, bei dem das Interesse für alte Uhren erwacht ist. Es ist dies der Uhrensammler, der mit dem Sammeln beginnt oder bereits über einige Uhren verfügt. Dieser Uhrensammler wird irgendwann feststellen, dass es zweckmäßig ist, einfache Tätigkeiten selbsttätig auszuführen. Er hat technisches Verständnis und handwerklichen Fähigkeiten, benötigt aber einen Leitfaden für die grundsätzliche Vorgehensweise. Das Buch soll dabei Hilfestellung leisten. Es wird detailliert das Zerlegen, das Reinigen und der Wiederzusammenbau beschrieben.
Es werden nur Verfahren beschrieben, die mit Standardwerkzeug, wie es in jeden Baumarkt verfügbar ist, durchgeführt werden können. Einige wenige Ersatzteile oder auch Verbrauchsmaterial wie Uhrenöl müssen in einschlägigen Fachgeschäften gekauft werden, die speziell ihr Angebot auf einen Kundenkreis ausgerichtet haben, der Spaß am Selberbauen hat.
Zielsetzung ist es, das Wissen und die Technik zu vermitteln, um eine Uhr wieder gangbar zu machen. Die beschriebene Vorgehensweise zur Instandsetzung einer Uhr erhebt nicht den Anspruch, derjenigen eines Uhrmachers zu entsprechen. Der Uhrmacher muss die Instandsetzung so durchführen, dass er dem Kunden eine Garantie für die Funktion geben kann. Der Uhrensammler ist sich bei der Instandsetzung nur selbstverantwortlich und kann selbst entscheiden, wie perfekt er die Arbeit ausführen will. Der Uhrensammler mit Spaß an der Technik wird irgendwann erkennen, wo seine Grenzen bei der Uhreninstandsetzung sind. Mit dem Wissen, das das Buch vermittelt, können komplette aber nicht funktionierende Uhren der oben genannten Kategorie mit großer Wahrscheinlichkeit wieder in den funktionsfähigen Zustand überführt werden. Bei einigen, sehr wenigen Uhren muss er sich aber entscheiden, ob er sie dem Fachmann übergibt, als Deko-Element an die Wand hängt, sie verkauft oder auf dem Speicher oder im Keller ablegt.
1 Einführung
Auf einem Flohmarkt, in einem Antiquitätenladen in Spanien oder im
Internet kauft man eine wurmstichige, alte Uhr. Sie hat irgendwie
das Interesse erweckt. Vielleicht ist es das altmodische Aussehen,
das vergilbte Zifferblatt, die Dekoration mit Säulen und Zapfen
sowie eine Applikation am Aufsatz in Form eines königlichen
Frauenkopfes, einer Medusa. So was hat man vielleicht schon
gesehen aber nicht bewusst wahrgenommen. Man sieht auch das Alter
der Uhr und ist, ohne es verhindern zu können, gedanklich in der
Zeit, in der die Uhr hergestellt sein könnte, überlegt, in welchem
Umfeld sie wohl aufgehängt war usw. Man ist von der Uhr
fasziniert.
Man hängt die Uhr im Wohnzimmer an einem
Platz auf, wo sie beim Eintreten gut auffällt. Das Uhrwerk
funktioniert nicht. Das macht anfangs nichts aus, aber Irgendwann
kommt die Frage, ob man sie nicht wieder zum Laufen bringen
könnte.
Der Gedanke, sie zum Uhrmacher zu bringen, stellt
sich nicht. Als Bastler mit technischem Verständnis wenn auch ohne
Uhrmacherkenntnisse hat man den Ehrgeiz, sie selbst zu reparieren.
Das Uhrwerk wird ausgebaut, zerlegt, gereinigt, geölt und wieder
zusammengebaut. Die einzelnen Arbeitsschritte benötigen beim
ersten Mal viel Zeit. Vor dem Zerlegen müssen Skizzen angefertigt
werden, um die Teile systematisch abzulegen und um
sicherzustellen, dass sie wieder ihren richtigen Platz finden.
Beim Zerlegen kann es unerwartete Schwierigkeiten geben, wenn sich
Splinte nicht so ohne weiteres lösen lassen. Vor dem Reinigen muss
man sich damit auseinandersetzen, welches Fett- und Öl lösliche
Mittel eingesetzt wird. Für das Ölen hat man spezielles Uhrenöl
besorgt, muss aber beim Ölen darauf aufpassen, dass nur bestimmte
Teile, aber diese sicher damit versehen werden. Bei erstmaligem
Zusammenbau hat man keine Vorstellung bezüglich zu beachtender
Anforderungen an die Räderstellungen, vor allem bei Uhrwerken mit
Schlagfunktion. Es bleibt dem Zufall überlassen, wieweit man die
Bedingungen erfüllt.
Hat man das Uhrwerk wieder
vollständig zusammengebaut und auch zum Schluss den Anker mit
Pendelgabel befestigt, zieht man es auf. Eine Funktionsprobe des
Gehwerks zeigt, dass die Gabel schwingt. Gleicher Massen löst das
Schlagwerk aus. Das Uhrwerk wird in den Uhrenkasten eingebaut,
dieser wieder an die Wand gehängt und die Uhr in Gang gesetzt.
Überraschenderweise bleibt sie stehen, vielleicht nach 10 Minuten
oder auch nach einem halben Tag. Man baut das Uhrwerk bei nächster
Gelegenheit wieder aus, sucht nach der Ursache des Fehlers und
macht sich mit den Drehungen der Räder und der Bewegung der Hebel
vertraut. Man zerlegt das Uhrwerk zum zweiten Mal und später zum
drittenmal.
Mittlerweile hat man weitere alte Pendeluhren
erworben, deren Uhrwerk teilweise als reinigungs-oder
reparaturbedürftig ausgepriesen war. Bei der Beschäftigung mit den
Uhrwerken zeigt sich, dass eine gründliche Reinigung mit
anschließender Ölung in sehr vielen Fällen dafür sorgt, dass die
Funktion wiederhergestellt wird. Die einwandfreie Funktion des
Schlagwerks bleibt aber weiterhin dem Zufall überlassen. Das
Uhrwerk muss öfters nochmal zerlegt werden, bis die Schlagzahl und
die Schlagfolge einigermaßen in Ordnung sind.
Irgendwann
stellt man fest, dass Reinigen und Ölen nicht in allen Fällen
ausreicht, um eine Uhr wieder gangbar zu machen. Die Lager der
Wellenzapfen der Räder sind oft ausgeschlagen. Die Räder werden
sich nach der Reinigung zwar drehen, wahrscheinlich aber nicht
lange, sodass man beginnt, sich mit dem Einbau einer Lagerbuchse
zu beschäftigten. Ein weiterer häufig anzutreffender Mangel ist,
dass sich das Uhrwerk wegen einer gebrochenen Feder nicht
aufziehen lässt. Auch dieses Problem wird gelöst. Daneben gibt es
eine Vielzahl von kleineren Problemen, die jedoch aufgrund des
bisher gesammelten Wissens beseitigt werden können.
Da
man als Bastler nicht unbedingt das Rad neu erfinden will, besucht
man auch Bibliotheken, z. B. eine städtische Leihbücherei, um dort
nach Uhrenliteratur zu suchen und sich darin zu vertiefen. Ein
Schwerpunkt dabei ist das Thema Schlagwerke, ihre Funktion und die
Einstellung beim Zusammenbau des Uhrwerks. Die Erkenntnisse werden
praktisch umgesetzt mit dem Ergebnis, dass die Schlagwerke nun
richtig eingestellt werden können.
Die Basteltätigkeit
findet sein Ende, wenn man auf eine Uhr mit defekten Rädern stößt,
sei es, dass ein Zahn oder ein Wellenzapfen fehlt. Um einen neuen
Zahn einzufügen oder einen Wellenzapfen zu erneuern, benötigt man
spezielles Werkzeug und die Erfahrung, mit diesem Werkzeug umgehen
zu können. Bei den in diesem Buch betrachteten Uhren kommen
defekte Räder selten vor, sodass man keinen Ehrgeiz entwickeln
muss, auch diese Probleme selbst beheben zu können. Dafür gibt es
zur Not den Fachmann, wobei man gut überlegen muss, ob man diese
zeitaufwendigen und damit kostspieligen Arbeiten überhaupt
durchführen lässt.
Im Allgemeinen wird man als
Uhrenbastler mit Uhren konfrontiert, die im Zeitraum von 1860 bis
1940 in großen Stückzahlen gefertigt wurden. Der Preis für
Pendeluhren mit Federzugantrieb, z. B. Freischwinger und
Regulatoren, kann bei aufwendig gestalteten Uhrengehäusen bei
1000€ oder einem Vielfachen davon liegen, in den meisten Fällen
kosten sie aber zwischen 100 € und 500 €, je nachdem, ob die Uhr
auf einem Online Markplatz im Internet, auf dem Flohmarkt oder
über die Auktionshäuser Sotheby oder Christies erworben wird.
Bringt man eine dieser Uhren im unteren Preissegment zur Reparatur
zum Uhrmacher wird man feststellen, dass die Reparaturkosten in
der Größenordnung des Kaufpreises der Uhr liegen. Wenn die Uhr ein
Erbstück ist, das man über alles schätzt, wird man sie reparieren
lassen. Wenn dem nicht so ist, wird man immer an den
Wiederverkaufswert denken müssen. Addiert man zum Kaufpreis die
Reparaturkosten dann ergibt sich ein Betrag, der auf dem Markt
nicht mehr zu erzielen ist. Die Uhr ist unverkäuflich.
Für den Bastler ergibt sich aus dieser Kostensituation zweierlei.
Es zeigt ihm, dass sein Hobby nicht nur dem Selbstzweck dient,
sondern dass er seine Arbeit auch kostenmäßig bewerten kann. Zum
anderen wird sein Hobby auch von Freunden und Bekannten anerkannt
und geschätzt, wenn sie ihm ihre alten Uhren zur Reparatur
anvertrauen.
In der Uhrentechnik gibt es wie in anderen Technikbereichen
sogenannte allgemein anerkannte Regeln der Technik. Laut
Definition sind dies technische Verfahren und Vorgehensweisen, die
in der praktischen Anwendbarkeit erprobt sind und von der Mehrheit
der Fachleute anerkannt werden. Sie sind nicht immer speziell
niedergeschrieben, aber im Kopf eines gelernten Uhrmachers
lebendig. Die Regeln stellen sicher, dass eine Uhrenreparatur
erfolgreich durchgeführt werden kann, setzen aber auch voraus,
dass entsprechende technische Erfahrung vorliegt, eine
bedarfsgerechte Werkzeugausstattung vorhanden ist und notwendiges
Verbrauchsmaterial zur Verfügung steht.
Diese
Voraussetzungen sind bei dem Uhrenbastler, den dieses Buch
anspricht, nicht oder nur teilweise gegeben. Die ausschließliche
Benutzung von Werkzeug aus dem Baumarkt, die eingesetzten
Materialien und die beschriebenen Vorgehensweisen stellen eine
Einschränkung dar. Obwohl damit nicht alle, aber sehr viele
Probleme zu lösen sind, muss der Bastler, der der Vorgehensweise
des Buches folgt, wissen, dass er in der Welt des Uhrmachers nur
ansatzweise zu Hause ist.
In der deutschsprachigen Literatur gibt es eine Vielzahl von
Büchern, die das Thema Uhr von allen Seiten beleuchten.
Chronologie der Uhrenentwicklung, Firmengeschichten von
Uhrenherstellern, Uhrenmuseumsführer und eine Unmenge von
Bildbänden mit seltenen Uhren, um nur einige zu nennen. Bücher,
die sich mit der Instandhaltung von Uhren beschäftigen, gibt es
weniger. Das sind zum einen die Lehr –und Ausbildungsbücher für
das Uhrmacherhandwerk, zum anderen einige wenige Bücher, die sich
gezielt mit der Reparatur von alten Uhren beschäftigen.
Letztere Bücher befassen sich mit dem Gesamtspektrum mechanischer
Uhren mit Schwerpunkt auf antiken Uhren. Sie befassen sich
ausführlich mit allen Aspekten des Aufbaus, der Funktion und der
Reparatur der Uhren. Die in hohen Stückzahlen als Massenware
gefertigten Uhren um die Wende des 19. zum 20.Jhd. mit ihren
konstruktiven Besonderheiten finden darin jedoch wenig Platz. Die
Zielgruppe dieser Bücher ist deshalb nicht der Bastler, der
anfängt seine erste Uhr zu zerlegen, sondern der fortgeschrittene
Uhrenkenner, Restaurator und Uhrmacher, der seine Kenntnisse
erweitern will.
Der Bastler wird im Laufe seiner
Tätigkeit selbst erkennen, wann er Nutzen aus diesen Büchern
ziehen kann.
2 Abgrenzung der betrachteten Uhren
Generell werden Großuhren aus der Zeit von 1850 bis1940 mit einem
Pendel als Schwingsystem betrachtet. Unter Großuhren sollen hier
Zeitmessgeräte verstanden werden, die nicht am Körper getragen
werden. In der Literatur findet man eine genauere Definition von
Großuhren. Demnach sind dies Uhren, bei denen die Tiefe des
Werkgestells, gemessen ab der Vorderseite der vorderen Werkplatine
bis zur Rückseite der hinteren Werkplatine, größer 12mm ist. Damit
scheiden Armbanduhren, Taschenuhren usw. aus.
Für die
weitere Abgrenzung werden die Alternativen bezüglich Ausführung
des Uhrwerks gegenübergestellt. Uhrwerke unterscheiden sich
bezüglich:
- mechanischem Aufbau
- Antrieb
- Hemmung
- Schlagwerk
Mechanischer Aufbau
Der mechanische Aufbau bezieht sich auf die Form und das Material
des Werkgestells. Es gibt Werkgestelle aus Holz und Metall.
Das Werkgestell aus Holz ist eng verbunden mit dem Begriff
„Schwarzwälder Uhr“. Darunter versteht man eine Wanduhr mit
Pendel, bei der die Wellen der Räder in einem Werkgestell aus Holz
gelagert sind. Uhren dieser Art sind Rahmenuhren, Lackschilduhren
usw. Diese Uhren wurden noch in der 2.Hälfte des 19. Jhd. in sehr
großen Stückzahlen produziert, weshalb man ihnen überall begegnet.
Das Werkgestell aus Metall besteht im Allgemeinen aus 2 Messingplatinen, die mit Abstandsbolzen verschraubt und in denen die Wellenenden der Räder gelagert sind. Von den bekannten deutschen Uhrenherstellern haben einige sowohl Uhrwerke aus Holz als auch aus Metall gefertigt, andere haben sich konsequent von Beginn ihrer Uhrenfertigung auf Werkgestelle aus Metall festgelegt. Im Rahmen dieses Buches werden nur Uhren mit Metall-Werkgestellen betrachtet.
Antrieb
Es gibt den Gewichts- und den Federantrieb. Zum Ende des
Betrachtungszeitraumes von 1850 bis 1940 gab es auch bereits den
Elektroantrieb. Dieses Buch beschäftigt sich ausschließlich mit
dem Federantrieb, der häufiger als der Gewichtsantrieb vorkommt.
Betrachtet man in Online Shops oder Internet Auktionen das Angebot
an Pendeluhren, die im Betrachtungszeitraum als Massenware in
In-und Ausland produziert wurde und sortiert dieses Angebot nach
Antriebsart, dann kommt man zu folgendem Ergebnis:
- 2/3 der Uhren besitzen einen Federantrieb
- 1/3 der Uhren besitzen einen Gewichtsantrieb
Diese Aufteilung stellt eine Momentaufnahme aus dem Jahre 2010 dar und entspricht nicht unbedingt dem damaligen Produktionsverhältnis. Es gibt nur einen ungefähren Überblick über die aktuelle Verfügbarkeit. Auch wenn der Gewichtsantrieb nicht weiter beschrieben ist, wird der technisch Interessierte hier keine prinzipiellen Schwierigkeiten haben, eine Uhr mit diesem Antrieb instand zu setzen. Der Federantrieb besteht aus einem Federhaus mit innenliegender Feder und einer umlaufenden Verzahnung. Dazu gibt es alternativ Federn ohne Federhaus. Anfangs und Mitte des 19.Jhd. gab es noch Antriebslösungen, bei denen eine Feder im Federhaus in Verbindung mit einer „Schnecke“ eingesetzt wurde, um eine gleichmäßige Antriebskraft zu erzeugen. Die „Schnecke“ ist bei industriell gefertigten Uhren nicht zu finden. Ein weiteres Konstruktionselement bei Uhren des 19.Jhd. ist das „Malteserkreuz“. Es dient dazu, beim Aufziehen der Feder die Zahl der Umdrehungen zu begrenzen, um ein gleichbleibendes Drehmoment zu erreichen. Auch dieses Element kommt bei industriell gefertigten Uhren nicht vor.
Hemmung
Es gibt sehr viele Arten von Hemmungen. Bei den Großuhren zählen zu den bekanntesten u. a.
- Hakenhemmung mit Blech –oder Massivanker
- Graham Hemmung
- Spindelhemmung
Da nur Uhren mit Pendel angesprochen werden, entfällt die Unruhehemmung. Die Spindelhemmung wurde zwar auch noch im 19. Jhd. eingebaut. Unter den fabrikmäßig hergestellten Uhren ist die Spindelhemmung jedoch nicht zu finden. Uhren mit Pendel sind, was die Produktion in Deutschland betrifft, weitgehend mit Hakenhemmung oder Graham Hemmung ausgestattet. In Frankreich wurden industriell gefertigte Uhren häufig mit der Brocot- Hemmung ausgestattet, die man jedoch bei deutschen Pendeluhren, wohl aus patentrechtlichen Gründen, nicht findet.
Schlagwerk
Es gibt Uhren, die neben dem Gehwerk ein oder zwei eigenständige
Werke mit eigenem Antrieb, Räderwerk, Klangkörper usw. für die
Schlagfunktion besitzen. Es gibt den Stundenschlag, den Stunden-
und Halbstundenschlag, den Stunden- und Dreiviertelstundenschlag,
den Westminsterschlag usw. Die Mehrzahl der Uhren verfügt über
einen Stunden- und Halbstundenschlag, weshalb nur diese behandelt
werden.
Die nachfolgende Abbildung 2.1 zeigt eine
Zusammenfassung der Kriterien.
Kriterium | Technische Lösung | Art der Fertigung | Fabrik- Fertigung |
Zeitraum der Fertigung | 1850 - 1940 |
Herstellung | deutsche Produktion |
Art des Antriebs | Feder |
Art des Schwingungssystems | Pendel |
Art der Hemmung | Ankerhemmung Graham Hemmung |
Art des Werkgestells | Messingplatinen |
Art des Schlagwerks | Stunden-Halbstundenschlag |
Der Beginn des Zeitraums der Fertigung ist auf ca. 1860 gelegt. Zu
diesem Zeitpunkt haben bereits einige der namhaften
Uhrenhersteller Uhren produziert. Man kann dabei aber noch nicht
von Fabrik- oder industrieller Fertigung im heutigen Sinn
sprechen. Der Ausstoß an Uhren war aufgrund der kleinen
Mitarbeiterzahlen und mangelhafter maschineller Unterstützung
gering. Die Entwicklung zur rationellen, teilweise automatisierten
Fertigung von Uhren ging jedoch rasch voran, sodass zwischen 1870
und 1880 bei verschiedenen Firmen die Jahresproduktion über
100‘000 Stück lag. Zwischen 1890 und 1900 erreichte sie die
Millionengrenze. Nach 1900 war Deutschland in der
Großuhrenproduktion führend.
Das Ende des
Betrachtungszeitraumes der Uhrenfertigung ist auf 1940 festgelegt.
Dieser Termin ist zeitnah und das Wissen darüber verfügbar. 1940
und in den anschließenden Jahren während des 2. Weltkrieges wurde
die Produktion von Uhren zugunsten der Fertigung kriegswichtiger
Güter gestoppt. Danach wurden und werden bis heute Großuhren
produziert, teilweise sogar als Replikat von Uhren, die zwischen
1860 und 1940 produziert wurden. Wer sich heute eine solche Uhr
kauft, erwartet von ihr, dass sie technisch auf dem neuesten Stand
ist und möglichst lange und genau funktioniert. Ein Sammlerobjekt
stellen diese Uhren, von Ausnahmen abgesehen, momentan nicht dar.
Im Betrachtungszeitraum hat sich die äußere Gestalt und das
Aussehen einer Großuhr an den sich ändernden Geschmack der
verschiedenen Stilepochen angepasst. Das Uhrwerk selbst ist in
dieser Zeit in seinem prinzipiellen Aufbau gleich geblieben.
Geändert haben sich jedoch die Fertigungsmethoden und damit die
konstruktiven Lösungen.
Das vorliegende Buch beschäftigt
sich mit der Reinigung und Reparatur von Uhren mit Uhrwerken gemäß
Kriterienliste Abbildung 2.1. Ein Kriterium dabei ist, dass die
Uhr aus deutscher Produktion kommt. Dies stellt insofern keine
große Einschränkung dar, da dies für die Mehrzahl der Großuhren in
deutschen Wohnungen zutrifft. Außer Betracht bleiben damit Uhren
vor allem aus Frankreich, Amerika, Japan und England.
3 Uhrenhersteller in Deutschland
Zwischen 1860 und 1940 gab es in Deutschland viele Hersteller von
Uhren mit den in Kapitel 2 genannten Kriterien.
Es gab
Hersteller, die in diesem Zeitraum nur einige Jahrzehnte tätig
waren und dann wieder verschwanden und andere Hersteller, die mit
größeren Herstellern fusionierten und deren Namen anschließend
gelöscht wurden.
Eine Reihe von Herstellern hat durch
Erweiterung ihres Geschäftsfeldes über die reine Uhrenfertigung
hinaus es geschafft auch nach 1940 und nach dem 2. Weltkrieg
wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Die Abbildung 3.1 zeigt
beispielhaft Hersteller von Uhren und deren Fertigungszeiträume
(Quelle: Lexikon der Deutschen Uhrenindustrie 1850-1980). Die
Abbildung könnte beliebig mit weiteren Herstellern ergänzt werden.
Die 5 zuerst genannten Hersteller:
- Junghans
- Kienzle
- Hamburg-Amerikanische Uhrenfabrik (HAU)
- Mauthe
- Gustav Becker
waren die Hersteller mit den größten Beschäftigtenzahlen im
Betrachtungszeitraum von 1860 bis 1940. Wenn man unterstellt, dass
die Produktivität und damit die Zahl der hergestellten Uhren
proportional zu den Beschäftigtenzahlen war, findet man heute vor
allem Uhren von diesen Herstellern.
Die übrigen in der
Tabelle beispielhaft genannten Hersteller sind in Bezug auf ihre
Firmengröße nicht mit den oben genannten Herstellern zu
vergleichen. Entsprechend weniger häufig findet man heute deren
Uhren.
Wie die Abbildung 3.1 zeigt, stellten viele
Hersteller um 1930 ihre Produktion ein. Der Grund dafür war, dass
sie nicht mehr wettbewerbsfähig und wirtschaftlich am Ende waren.
Es ist die Zeit der Weltwirtschaftskrise. Dies galt auch für HAU
und Gustav Becker. Beide fusionierten jedoch mit Junghans und
produzierten unter der alten Firmenbezeichnung kurzzeitig weiter.
Uhren besitzen in den meisten Fällen ein Markenzeichen auf dem
Uhrwerk. Dieses Markenzeichen gehört jeweils einem bestimmten
Hersteller. Einige bekannte Markenzeichen sind in der folgenden
Abbildung 3.2 dargestellt. Die Zuordnung von Markenzeichen zum
Hersteller ist nur in wenigen Fällen ersichtlich, z. B. bei
Junghans. Viele Hersteller kennzeichnen ihre Uhren auch mit
unterschiedlichen Markenzeichen. Um hier eine Zuordnung vornehmen
zu können, muss man auf entsprechende Literatur zurückgreifen, wie
den Trademark Index of European Origin von Karl Kochmann oder das
Lexikon Deutsche Uhrenindustrie 1850-1980 von Hans Heinrich
Schmid.
Man findet sehr häufig Uhren, die auf dem Uhrwerk
keinerlei Markenzeichen haben. Die Qualität dieser Uhrwerke
entspricht im Durchschnitt der Qualität von Markenuhrwerken. Es
ist davon auszugehen, dass bei der damaligen arbeitsteiligen
Produktionsweise sich Firmen nur auf die Herstellung von Uhrwerken
spezialisiert haben, die dann von heute unbekannten
Uhrenherstellern verwendet wurden.
Weiterhin gibt es
Uhrwerke mit 2 Markenzeichen. Ein Markenzeichen ist das
Markenzeichen des Uhrwerksherstellers, das 2. Markenzeichen das
des Uhrenherstellers.
9 Reparaturen und Einstellungen am Uhrwerk
9.1 Reparaturen am Federantrieb
Ein defektes Federwerk erkennt man daran, dass sich der
Aufzugsschlüssel beim Aufziehen ohne Gegenkraft drehen lässt.
Manchmal kann man die Feder mehrere Umdrehungen aufziehen bis
plötzlich ein Geräusch zu hören ist. Das Geräusch verursacht die
Feder, die sich wieder teilweise entspannt und durch die Reibung
mit der Gehäusewand ein kurzes schabendes Geräusch erzeugt. Der
Grund dafür ist, dass die Feder nicht mehr am Gehäuse befestigt
ist, aber durch den Federdruck an die Wand gepresst wird. Meistens
ist die Feder in der Nähe des Befestigungspunktes gebrochen.
Manchmal dreht man auch gegen eine Kraft, die den Schlüssel beim
Loslassen in seine Ausgangsstellung zurückdreht.
Es gibt
verschiedene Ursachen für dieses Verhalten.
Feder gebrochen
Als Maßnahme zur Wiederherstellung der Funktion bei Federbruch kann man die Feder entweder reparieren oder durch eine neue Feder ersetzen.
Abbildung 9.2 zeigt, wann eine defekte Feder repariert werden kann oder ersetzt werden muss. Je nachdem, wo die Feder gebrochen ist, gibt es verschiedene Möglichkeiten der Reparatur. Bei Bruch am äußeren Ende kommt die Reparatur der Feder infrage. Bei Bruch am inneren Ende kann man wählen zwischen Reparatur der Feder oder dem Einbau einer Ersatzfeder. Ist die Feder an einer anderen Stelle gebrochen, muss man eine Ersatzfeder einbauen.
Ersatz der Feder bedeutet den Einsatz einer gebrauchten Feder, die die gleiche Größe wie die defekte Feder hat oder die Neubeschaffung der Feder. Es gibt Fachgeschäfte, die Uhrenfedern anbieten.
Beim Kauf einer neuen Feder ist darauf zu achten, dass die Breite der Feder mit der Breite der kaputten Feder übereinstimmt. Die Breite der angebotenen Federn variiert in Millimeterschritten. Im Zweifelsfalle wird die Feder mit der etwas geringeren Breite gewählt.
Die Federreparatur erfordert folgendes Material und Werkzeug:
Material:
- Eventuell eine Ersatzfeder
- Öl
Werkzeug:
- Löteinrichtung (Gaskartusche, Brennerrohr, Feinregulierungsventil)
- Standbohrmaschine mit Maschinenschraubstock
- Schraubstock mit Gummibacken
- Schraubstock mit Eisenbacken
- Eisenschere
- Eisenfeile
- Arbeitshandschuhe
Feder am äußeren Ende gebrochen
Als äußeres Ende der Feder bezeichnet man das Ende, das am Federhaus befestigt ist. Meistens ist die Bruchstelle im Bereich der Öse, mit der die Feder in den Haken an der Federhauswand eingehängt ist.
Die Bruchstelle kann aber auch einen halben bis ganzen Umfang des Federhauses vom äußeren Ende entfernt sein.
Die Reparatur der Feder erfolgt in mehreren Schritten.
Schritt 1: Öffnen des Federhauses
Zum Öffnen des Gehäusedeckels benutzt man einen Schraubendreher.
Man führt dazu die Spitze des Schraubendrehers in die Aussparung
ein und drückt den Federhausdeckel mittels Hebelwirkung vorsichtig
heraus.
Wenn das nicht funktioniert, weil z. B. der
Schraubendreher zu groß für die Aussparung ist, kann man auch
durch vorsichtiges Klopfen mit einem (Gummi-)Hammer auf das
Federwellenende (Siehe Abbildung 8.2) den Federhausdeckel von
innen heraus lösen.
.
.
.
9.9 Einbau einer Lagerbuchse
Die Wellenzapfen der Zahnräder sind normalerweise in
entsprechenden Bohrungen in den beiden Werkplatinen gelagert. In
Abhängigkeit von der Qualität dieser Werkplatinen, sind diese nach
jahrelangem Einsatz der Uhr mehr oder weniger erweitert. Das Loch
in der Werkplatine hat meistens seine ursprüngliche runde Form
verloren und ist nun oval.
Das Rad, das auf den Trieb
wirkt, übt eine Kraft aus, die über die Radwelle auf die beiden
Zapfenlager übertragen wird. Abbildung 9.53 zeigt diesen
Zusammenhang.
Wie zu sehen ist, sitzt der Trieb nicht in der Mitte der Welle, sondern in der Nähe einer der beiden Werkplatinen. In der Praxis ist dies aus konstruktiven Gründen der Normalfall. Dementsprechend ergeben sich unterschiedliche Kräfte auf die Zapfenlager. Im Beispiel nach Abbildung 9.53 wirkt auf das Zapfenlager 2 die Kraft K2, die größer ist als die auf das Zapfenlager 1 wirkende Kraft K1. Das Zapfenlage2 wird früher seinen Dienst versagen als Zapfenlager 1. Daraus ergibt sich, dass im Störungsfall nicht auf beiden Seiten der Welle die Zapflager mit neuen Lagerbuchsen zu versehen sind, sondern nur ein Zapfenlager, nämlich das stärker beanspruchte.
Die Antriebskraft (siehe Abbildung 9.53) hat immer die gleiche Richtung, sodass ein Zapfenlager immer ungleichmäßig belastet wird. Die ursprünglich runde Bohrung verändert seine Form. Erweiterte Bohrlöcher (Zapfenlager), wie in Abbildung 9.54 dargestellt, findet man häufig.
Erstaunlicherweise haben die Uhren auch mit solch deformierten
Zapfenlagern noch funktioniert. Andererseits gibt es Zapfenlager,
die mit bloßem Auge betrachtet annähernd rund erscheinen, aber
trotzdem die Funktion stören.
Eine qualitative
Beurteilung eines Zapfenlagers ist möglich, wenn man die Lage des
Zahnrades betrachtet, das mit seinem Wellenende dort gelagert ist.
Ein funktionstüchtiges Zapfenlager erkennt man daran, dass die
Welle annähernd senkrecht in der Werkplatine steckt. Je grösser
die Abweichung von der senkrechten Lage ist, umso mehr ist das
Zapfenlager betriebsbedingt erweitert. In Abbildung 9.55 ist die
Schräglage eines Zahnrades beispielhaft dargestellt. Die
Abweichung von der senkrechten Stellung (Fehlerwinkel nach
Abbildung 9.56) beträgt in diesem Beispiel 15°.
Bei einem Fehlerwinkel dieser Größenordnung ist mit einer Fehlfunktion zu rechnen. In diesem Fall ist der Einbau einer neuen Lagerbuchse erforderlich. Eine allgemein gültige Aussage darüber, ab welchen Fehlerwinkel eines Rades eine neue Lagerbuchse unbedingt eingebaut werden muss, gibt es nicht, da die Funktionstüchtigkeit eines Uhrwerks u. a. auch vom Zustand des gesamten Räderwerks bestimmt wird.
Die Praxis zeigt, dass ein äußerlich unbeschädigtes Uhrwerk, das trotz sorgfältiger Reinigung und Ölung sowie korrekter Einstellung von Zeigern und Hebeln nur geringe Pendelausschläge macht, schwache Tik-Tak Geräusche erzeugt und evtl. nach einigen Schwingungen zum Stillstand kommt, in den meisten Fällen einen oder auch mehrere Lagerschäden hat.
Beim Einbau einer Lagerbuchse wie nachfolgend beschrieben wird man feststellen, dass der Fehlerwinkel der neu eingebauten Lagerbuchse nicht gegen null tendiert sondern ca. 2 bis 3°beträgt. Für den Anfänger, der seine 1. Lagerbuchse einbaut, ist dieser Fehlerwinkel sogar wünschenswert, weil die Anforderungen an einen möglichst exakt senkrechten Einbau der Lagerbuchse in der Werkplatine damit geringer werden.
13 Rechenschlagwerke
13.1 Komponenten
Das Rechenschlagwerk besitzt als namengebende Komponente einen Rechen, der jedoch mehr einer Säge ähnlich ist. Weitere wesentliche Komponenten des Schlagwerks sind:
- Stundenstaffel
- Schöpfer
Stundenstaffel
Die Stundenstaffel ist das Bauteil, das für das Schlagprogramm zuständig ist. In Analogie zum Schlossscheibenschlagwerk, bei dem die Schlossscheibe für das Schlagprogramm zuständig ist und deshalb der Namensgeber für diesen Schlagwerkstyp ist, müsste eigentlich das Rechenschlagwerk nicht nach dem Rechen sondern nach der Stundenstaffel benannt werden. Die Stundenstaffel ist eine speziell geformte Metallscheibe, die fest mit dem Stundenrohr verbunden ist. Sie dreht sich in 12 Stunden um 360°, pro Stunde um 360°/12 = 30°. In Abbildung 13.1 ist eine Stundenstaffel dargestellt. Im Prinzip besteht sie aus 12 Kreissegmenten mit jeweils 30°, mit einem gemeinsamen Mittelpunkt, aber unterschiedlichen Radien. Dem Kreissegment mit dem größten Radius wird die Uhrzeit 1:00, dem Kreissegment mit dem kleinsten Radius die Uhrzeit 12:00 zugeordnet.
Die Radien sind so bemessen, dass ein Hebel mit einem Drehpunkt nahe der Stundenstaffel beim Drehen der Stundenstaffel von einem Kreissegment zum nächsten immer um den gleichen Winkel abfällt. Bei der Stundenstaffel in Abbildung 13.1 fällt der Hebel (in der Praxis ist dies der Auffallarm, der als Teil des Rechens betrachtet werden kann) bei dem vorgegebenen Rechendrehpunkt vom 1:00 Kreissegment zum 12:00 Kreissegment um 30°. Bei diesem beispielhaften Wert beträgt die Winkeldifferenz zwischen 2 aufeinanderfolgenden Kreissegmenten 2,7°.
Jede Stunde wird der Rechen vom Einfallhebel freigegeben. Dieser fällt aus seiner Ruhelage soweit ab, bis der Auffallstift des Auffallarmes auf die Stundenstaffel trifft. Der Winkel, den der Auffallarm dabei beschreibt ist ein Maß für die Zahl der Schläge. Bei dem hier betrachteten Beispiel gibt es pro 2,7° einen Schlag.
Die Stellung der Stundenstaffel zum Zeitpunkt des Rechenabfalls ist für die Größe des Auffallwinkels verantwortlich. In der Abbildung 13.2 ist die Stellung für einen Schlag, für 2 Schläge und für 12 Schläge dargestellt.
Die Auslösung des Schlagwerks und damit der Abfall des Rechens erfolgt nach jeder Stunde. In einer Stunde dreht sich auch die Stundenstaffel um 30°. Damit ist sichergestellt, dass sich die Schlagzahl von Stunde zu Stunde immer um einen Schlag erhöht.
Rechen
Der Rechen besteht aus der Komponente, die in Verbindung mit der Stundenstaffel steht, dem Auffallarm und dem eigentlichem Rechen, der in Verbindung mit Schöpfer und Einfallhebel steht. Der Rechen ist das Segment eines Rades mit einem bestimmten Mittelpunktswinkel (hier beispielhaft 41°) und einem bestimmten Radius R. Der Kreisbogen besitzt bei diesem Beispiel (Abbildung 13.3) 15 Zähne.
15 Beispieluhrwerke und deren Einstellung
15.1 Alternative technische Ausführungen der Schlagfunktion
Ein Schlagwerk besteht aus dem Räder/ Hammerwerk und dem Programmwerk. Zwischen diesen beiden Baugruppen gibt es 2 Verbindungen mit den Funktionen „Ein“ und „Aus“ (siehe Abbildung 15.1). „Ein“ bedeutet den Start, „Aus“ den Stopp des Räderwerk/ Hammerwerks. Physikalisch werden die Verbindungen durch den Einfallhebel realisiert, der mit seinem Arm 1 auf eine Komponente des Räderwerks einwirkt. Für die Funktion „Ein“ wird der Einfallhebel von Auslösestern/ -hebel, für die Funktion „Aus“ von Schlossscheibe oder Rechen gesteuert.
Für eine korrekte Schlagfunktion ist es erforderlich, bei jedem Zusammenbau des Uhrwerks die Soll-Stellungen der Räder und Hebel sowohl am Räderwerk/ Hammerwerk als auch am Programmwerk zu beachten. Falls erforderlich sind die entsprechenden Einstellungen vorzunehmen. Diese können unabhängig voneinander vorgenommen werden und erfolgen in 2 Schritten:
- Einstellung des Räderwerks/ Hammerwerks
- Einstellung des Programmwerks
Das Räderwerk/ Hammerwerk ist bei allen hier betrachteten Schlagwerken prinzipiell gleich aufgebaut. Der Unterschied, der das Einstellverfahren bestimmt, liegt in der Art und Weise, wie das „Aus“, also die Blockierung der Räder erfolgt. Insgesamt gibt es dafür 4 Alternativen und damit 4 unterschiedliche Verfahren für die Einstellung der korrekten Schlagfunktion.
Abbildung 15.2 zeigt die 4 prinzipiellen technischen Alternativen für die Blockierung:
Alternative | Technische Lösungen für die Blockierung des Räderwerks |
---|---|
R1 | Das Fallenrad/Schöpferrad besitzt ein
Viekantwellenende, das an der vorderen Werkplatine herausragt.
Auf diesem Ende sitzt eine Komponente wie z.B.
|
R2 | Die Herzscheibe sitzt fest auf der Welle des
Fallen-/Schöpferrades zwischen den beiden Werkplatinen. Blockierung des Räderwerks durch Einfall des Einfallhebels in die Kerbe der Herzscheibe |
R3 | Der einfallhebel blockiert Anlaufstift des Fallenrades |
R4 | Der Einlaufhebel blockiert Anlaufstift des Anlaufrades |
Die technischen Lösungen beim Programmwerk sind Schlossscheibe, Rechen und Multifunktionshebel. Bei der Schlossscheibe unterscheidet man 2 Varianten, sodass es insgesamt 4 Alternativen und damit 4 Einstellverfahren gibt.
Alternative | Technische Lösung für das Programmwerk |
---|---|
P1 | Schlossscheibe Typ 1 drehbar auf Welle des Beisatzrades befestigt (vor einer der Werkplatinen oder zwischen den beiden Werkplatinen |
P2 | Schlossscheibe Typ 2 annehmbar auf Viekant-Wellenende des Beisatzrades oder drehbar zwischen den Werkplatinen befestigt |
P3 | Rechen (immer vor der vorderen Werkplatine befestigt) als Hebel mit einem festen Drehpunkt |
P4 | Multifunktionshebel (immer vor der vorderen Werkplatine befestigt) |
15.2 Verfügbare technische Lösungen der Schlagfunktion
Schlagwerke bestehen aus einem Räderwerk/ Hammerwerk mit einer
Blockierungsfunktion gemäß Abbildung 15.2 und einem Programmwerk
gemäß Abbildung 15.3. Kombiniert man die 4 Alternativen von
Abbildung 1 mit den 4 Alternativen von Abbildung 2 kommt man
theoretisch zu 16 technischen Ausführungen von unterschiedlichen
Schlagwerken.
In der Praxis findet man weniger
verschiedene Ausführungen. Manche Kombinationen sind technisch
nicht relevant. Z. B. ist eine Schlossscheibe Typ 2
(Programmalternative P2) deshalb mit schrägen Anlaufflächen
ausgestattet, um eine Gleitfläche für den Einfallhebel zu schaffen
und damit auf die Herzscheibe (Räderwerkalternative R 2)
verzichten zu können.
Insgesamt bleiben ca. 7
Kombinationen übrig. Vielleicht gibt es auch mehr Kombinationen.
Unberücksichtigt bleibt z. B. ein Schlagwerk mit Schlossscheibe,
bei dem der Anlaufstift des Anlaufrades blockiert wird
(Kombination von R4 mit P2). Die Lösung ist denkbar, es konnte
jedoch kein Beispiel dafür gefunden werden.
15.3 Auswahl eines Beispieluhrwerks
Es ist nicht notwendig, sich von Beginn an mit allen
Einstellungsmöglichkeiten vertraut zu machen. Man sucht sich
gezielt das Einstellverfahren für das Schlagwerk aus, das man
gerade bearbeitet.
Geht man davon aus, dass es 7 mögliche
Kombinationen gibt, dann kann man jedes zu behandelnde Schlagwerk
einer dieser Kombinationen zuordnen.
Für jede Kombination
gemäß Abbildung 15.4 werden technische Lösungen in Form von
Beispieluhrwerken beschrieben. Anhand dieser Beispieluhrwerke
werden der Aufbau des Schlagwerks und die Vorgehensweise zur
Einstellung der korrekten Schlagfunktion erläutert.
Bevor
man das zu reparierende Uhrwerk zerlegt, ist festzustellen,
welches Beispieluhrwerk bezüglich Schlagfunktion mit diesem
übereinstimmt.
Am häufigste sind Schlagwerke, bei denen
das Fallenrad blockiert wird. Besitzt dieses einen Anlaufstift, so
entspricht dies Alternative R3. Wenn dieser fehlt, dann befindet
sich auf der Welle des Fallenrades die Herzscheibe zwischen den
Werkplatinen (R2) oder vor der Werkplatine (R1).
Alternative R4 ist daran zu erkennen, dass der Einfallhebel einen
Arm zum Anlaufrad besitzt.
Sind die Federn des zu
reparierendes Uhrwerks bereits entspannt, kann man durch leichten
Druck auf ein Rad des Schlagwerks das Räderwerk in Bewegung
setzten und beobachten, wo der Einfallhebel das Räderwerk
blockiert.
Die Zuordnung einer Programm- Alternative P
gemäß Abbildung 15.3 zu dem einzustellenden Schlagwerk ist
problemlos zu treffen.
Hat man R und P bestimmt, findet
man das zugehörige Beispieluhrwerk in Abbildung 15.4. Die
technische Ausführung von Uhrwerken ist trotz gleicher Funktion
von Hersteller zu Hersteller und auch bei einem Hersteller von
Uhrwerk zu Uhrwerk verschieden. Für die Einstellung der Uhrwerke
können sich daraus unterschiedliche Vorgehensweisen ergeben. In
Abbildung 15.4 sind deshalb zu einer Kombination bis zu 3
technische Ausführungsbeispiele genannt.
Wie aus
Abbildung 15.4 zu ersehen ist, haben die Beispieluhrwerke A, D und
G verschiedene Programmwerke in Form von Schlossscheibe, Rechen
und Multifunktionsarm, in Bezug auf das Einstellverfahren ihres
Räderwerks (Alternative R1) sind sie gleich. Das Einstellverfahren
des Räderwerks ist deshalb nur bei A ausführlich beschrieben. Bei
der Beschreibung von D und G wird darauf Bezug genommen.
Umgekehrt haben die Beispieluhrwerke D, E und F als Programmwerk
einen Rechen, jedoch unterschiedliche Räderwerke. Die Einstellung
des Rechens ist bei diesen Uhrwerken gleich und auch nur einmal
beschrieben.
Kombination Räder-/ Programmwerk |
Beispieluhrwerk | Bemerkung |
---|---|---|
R1/P1 Sperrkomponente auf Viekant/Schlossscheibe Typ 1 |
A | Herzscheibe als Sperrkomponente |
R2/P1 Herzscheibe fest auf die Welle/Schlossscheibe Typ 1 |
B1 | Einfall-, Auslösehebel, Schlossscheibe vor der vorderen Werkplatine |
B2 | Einfall-, Auslösehebel, Schlossscheibe zwischen den beiden Werkplatinen | |
R3/P2 Fallenrad mit Anlaufstift/Schlossscheibe Typ 2 |
C1 | Wellenzapfen des Hebsternrades in demontierbarem Lager |
C2 | Alle Wellenzapfen in den beiden Werkplatinen gelagert | |
C3 | Schlossscheibe zwischen den Werkplatinen | |
R1/P3 Sperrkomponente auf Vierkant/Rechen |
D | Schöpferstift in Herzscheibe |
R3/P3 Fallenrad mit Anlaufstift/Rechen |
E1 | Doppelstiftschöpfer |
E2 | Zahnrad-Schöpfer | |
R4/P3 Anlaufrad mit Anlaufstift/Rechen |
F1 | Herzscheibe mit Einschnitt |
F2 | Herzscheibe ohne Einschnitt | |
R1/P4 Sperraum auf Vierkant/Multifunktionsarm |
G |